Kliniktagebuch 1. April 2011
Der
knallrote Luftballon
Jede Bewegung ein Messer aus Feuer – schneidend, brennend,
vernichtend. Trotz der Opiumpflaster Schmerzskala 9 für mich.
Ich muss atmen, entspannen, atmen…. noch ein Tag bis zur Operation, die mich von diesen
Schmerzen befreien soll, die mir die Lähmung nehmen und die Bewegung
wiedergeben soll.
Eine Operation der Ein- Drittel-Chance: Entweder es bleibt,
wie es ist oder es verschlechtert sich und ich bin vollends querschnittsgelähmt
oder ich komme mit den Schrauben und den Ersatzteilen zurecht und kann wieder
laufen. Sicher auch dann nur noch eingeschränkt, weil die Lähmung schon durch
den Anriss des einen Nervs gegeben sind, doch vielleicht…
Weg von Rollstuhl, Schmerzen
und Hilflosigkeit, das ist mein Wunsch.
Wir haben den ersten April, doch nach Aprilscherzen ist hier
keinem zumute. Draußen ist es Frühling. Vom Bett aus schaue ich auf den kleinen
See, auf Bäume, auf ein zweites Gebäude des Anna- Stifts.
Ich liege allein im Zimmer, die Mitpatientin liegt noch im
Aufwachraum. Sie bekam heute eine neue Hüfte.
Ein großes Zimmer habe ich mal wieder und es ist sehr schön
hell. Ein langes Zimmer, mit 2 Zimmerhohen Fenstern, die jeweils 2 m breit
sind. Die Fensterbänke sind tief, dass man sogar darauf sitzen könnte. Werde
ich sicher machen, wenn ich wieder alleine gehen kann.
Unsere Betten stehen an den gegenüber liegenden Wänden, so
können wir uns auch bei fester Rückenlage ansehen. Für jeden hängt ein
Fernseher von der Decke herab. Darunter ein Kühlschrank, in dem man kleinere
Vorräte lassen kann, wie ich meine lactosefreie Kaffeemilch dort aufbewahre. Neben dem Nachttisch meines Gegenübers stehen
die beiden hohen Kleiderschränke, auf meiner Seite ist die Tür zum Duschbad.
Gegenüber den Fenstern steht eine Tischgruppe mit drei bequemen Polsterstühlen
und daneben befindet sich die Tür zu Flur. Auf dem Tisch ist eine freundliche
Tischdecke und es steht immer eine Schale mit Obst und einige kleine Flaschen
Wasser bereit.
Das Zimmer ist so groß, dass wir uns sicher nie in die Quere
kommen werden, selbst mit dem Übungswagen (Spezialrollator, auf dem man die
Arme in Schulterhöhe auflegt).
Nun schweift mein Blick wieder nach draußen, wo sich an den
Bäumen die ersten grünen Spitzen im Wind wiegen. Vom See schallen die Rufe der
Enten und Vögel und ich kann von meinem Bett aus die Spaziergänger sehen, die
teilweise dort mit den Therapeuten oder ihren Besuchern ihre Gehübungen machen.
Da ist doch etwas Rotes auf dem Balkon gegenüber, eine Etage
tiefer. Ich schaue genau…ja, ein knallroter Luftballon steht ganz still unter
der Balkondecke, sein Band hängt unbeweglich nach unten. Also ein gasgefüllter
Ballon denke ich und wundere mich, dass er sich nicht bewegt. Wie hingemalt
sieht er aus.
Ich greife nach meiner Kamera und fotografiere ihn.
„Komm Ballon, tanz für mich, sag mir damit, dass morgen
alles gut geht und ich wieder laufen kann. Kein Rollstuhl, kein Angewiesensein.
Einfach nur weniger Schmerzen und etwas mehr Beweglichkeit. Tanz bitte für
mich!“
Gespannt schaue ich hin, noch einmal meine Bitte:
„Bitte tanz, tanz, tanz, wie ich tanzen möchte.“
Und täusche ich mich? Ist es Tatsache?
Der Ballon bewegt sich, ganz langsam schwänzelt nun das Band
hin und her, er schiebt sich unter der Decke weiter und dann erreicht er den
Balkonrand, verlässt den sicheren Hort, steigt auf und ab, tanzt vor meinem
Fenster entlang, wedelt hin und her und es kommt mir vor, als lache er mich an.
Alles wird gut, meine ich zu hören, aber das ist nur ganz
tief in mir drin und dankbar schaue ich ihm nach, wie er weiter steigt, an den Bäumen
entlang fliegt und dann meinen Blicken entschwindet.
Ja, alles wird gut. Ich bin mir sicher.
Danke, knallroter Luftballon.
floravonbistram 2011